Geschichten der Bar - oder wie ein Drink entsteht: Professor Langnickel
An vollen Tagen, schreibt Ihr Bar schwarze Zahlen - an ruhigen Tagen, mit ein wenig Glück, schreibt sie Geschichte(n). Am vergangenen Sonntag, 20. Januar 2008, war so ein ruhiger Abend in unserer Bar. Zusammen mit Mario Kappes hatte ich das Vergnügen an diesem Sonntag hinter der Bar zu stehen und wir waren in bester „Sonntagslaune“.
Ich weiss nicht ob Ihnen als Bartender die „Sonntagslaune“ bekannt ist. In der Regel war der Freitag und der Samstag gut besucht und man hat somit im Vorfelde der „Sonntagslaune“ zwei lange, anstrengende Schichten absolviert. Ist man dann noch der Idee eines 6.00 Uhr Feierabendbieres verfallen und somit erst deutlich später nach Hause gekommen, tut man sich folgerichtig am Sonntag Nachmittag („Guten Morgen Herr Bartender“) ziemlich schwer. Man organisiert Kaffee und braucht ein bis zwei Stunden um sich langsam dieser Welt zu nähern. Ein in der Regel dünnes und dummes Sonntag-Nachmittags-Fernsehprogramm kommt einem in dieser Phase des Sonntags seltsamerweise gar nicht dünn und dumm vor. Nach dem zweiten Kaffee wünscht man sich in der Regel man würde nicht in der Gastronomie Arbeiten, überlegt kurz den Job zu schmeissen und wird sich einer Tatsache bewusst: Man wird gleich zur Arbeit fahren müssen. Man quält sich unter die Dusche, die gewohnte Erfrischung bleibt aus und versucht eher hilflos seinem Spiegelbild ein anschauliches „Äußeres“ zu verpassen.
Man bringt sich also aus dem Haus und ist relative pünktlich bei der Bar um sein mise en place zu machen. Zuerst jedoch: Café! - Die Koffeinversorgung zu Hause lässt zumindest Geschmacklich oft zu wünschen übrig aber in der Bar gibt es glücklicherweise eine anständige Espresso Maschine.
Man arbeitet sich durch das mise en place, checkt den Stock und baut seine Posten auf. Noch ein Café - und man legt langsam seine Barjacke an und beginnt diesen Raum der Bezeichnung „Bar“ nahe zu bringen. Man dimmt das Licht - etwas dunkler als sonst und legt Musik auf, etwas mehr Jazz als sonst.
Man speert die Tür auf und irgendwann betreten die ersten Gäste die Bar. Ihre Laune bessert sich, zumal die Gäste, die die Bar betreten, sehr charmant sind. Es ist Zeit für ein Gespräch, niemand ist in Eile, und nach und nach erreicht die Bar einen entspannten Füllzustand. Den ganzen Abend über - keine Hektik, keine Eile, charmante Gäste, gute Bestellungen und Zeit für Gespräche. Auch wenn das betriebswirtschaftliche Idealbild ein anderes sein mag, haben Sie plötzlich, ob sie wollen oder nicht, Sonntagslaune! - Und zwar eine Gute!
So gut gelaunt standen nun also Mario und ich hinter unserer kleinen Bar und ein charmantes Paar betrat die Bar. Gleich bei der ersten Bestellung kam Mario mit den Beiden ins Gespräch und bei der Bestellung wünschte man sich eine Empfehlung von Mario.
Auch wenn es dem einen oder anderen vorschnell anachronistisch erscheinen mag, hat Mario eine ausgesprochene Vorliebe für spanischen Brandy und Sherry. Bei seinen Besuchen der Bodega Sánchez Romate (Cardenal Mendoza) hat er das Vergnügen, den alten Kellermeister Raphael kennen zu lernen. Ihm zu Ehren, kredenzte Mario einen der besten Brandy Drinks die ich in letzter Zeit getrunken haben
Don Raphael
Mario Kappes, Le Lion - Bar de Paris
4 cl Cardenal Mendoza Reserve 42%
2 cl Pedro Ximénez Monteagudo Sherry
1 Dash Orange Bitter
Stirr, strain, Orange Peel
Diesen „Don Raphael“ servierte Mario in bester Sonntagslaune unserem interessiertem Gast und fand begeisternde Anerkennung. Es folgte ein Gespräch und unser Sonntagsgast gab ein wenig seiner Identität preis.
Professor Langnickel, so sein Name, kommt aus Köln. Er ist Professor der Soziologie und zusammen mit seiner Gemahlin Anne betreibt er seit einigen Jahren eine Bar ein Köln:
Barfly
Kempenerstr 68
50733 Köln
Er hatte ursprünglich nichts mit der Gastronomie zu tun. Nur haben Ihn und seine Frau die Bar, die Drinks und die Geschichten so faziniert, das man nicht umhin kam, eine eigene Bar zu eröffnen.
Mit so einer Geschichte können Sie die Seele eines Bartenders gewinnen - das war Herrn Langnickel an diesem Abend gelungen. Die Abend wurde besser und besser, Sonntagslaune 2.0 sozusagen, und Herr Langnickel bat Mario erneut nach einer persönlichen Empfehlung.
Mario trat neben mich hinter die Bar und stellte eine Flasche Morand Kirschwasser und den fabelhaften Guignolet de Dijon von Gabriel Boudier auf das Barbrett. Ohne die dritte Flasche, die Mario gerade holte, zu sehen, sagte ich gleich zu Mario „Oh ... ein Dr. Sack?“ und war mir nicht sicher ob ich Ihm diesen alten Drink schon einmal gemixt hatte.
Dr. Sack
1/3 Kirschwasser/Brand
1/3 Kirschbrandy
1/3 Gin
Kennen gelernt hatte ich den Drink seiner Zeit in der Old Fashioned Bar in Hamburg - gemixt von Achim F. Eberhardt. Seiner Aussage zu Folge gab es im Adlon Hotel Berlin einen Stammgast mit dem Namen Dr. Sack. Dieser Stammgast bestellte immer diesen eiskalt gerührten Drink mit jeweils einem Drittel der oben genannten Spirituosen.
Irgendwann haben die Adlon Bartender den Drink, so die Geschichte, einfach „Dr. Sack“ genannt. Dieser Drink kommt einem recht selten über dem Weg - ehrlich gestanden habe ich bislang nur bei Herrn Eberhardt erblickt.
Man findet das Rezept hier und da, insbesondere in alten DBU Rezeptlisten. Entscheidend für den Drink ist die Wahl des Kirschwasser und des Kirschlikörs.
Es sind einige Versuche von Nöten um ein elegantes, aber kräftiges Ergebnis zu bekommen - mit einigen Wässerchen funktioniert der Drink, mit anderen misslingt er garantiert.
Mario stellt nun also die Dritte Flasche auf das Barbrett, ein Pedro Ximénez Monteagudo Sherry und sagte
„Dr. Sack? Nee, kenne ich nicht...“
„ Ok. was mixt Du denn da?“
„Möchte Herrn Langnickel noch einen Sherry Drink kredenzen, hab eine Idee, aber bin mir nicht sicher ob es funktioniert“.
Mario gab die drei Zutaten, 2 cl PX Sherry, 2 cl Guignolet de Dijon/Gabriel Boudier und gut 4 cl Morand Kirschbrand ins Rührglas, rührte kräftig, seihte ins vorgekühlte Cocktailglas ab und gab eine Zitronenzeste über und in den Drink.
Herr Langnickel war begeistert! Er musste sofort einen zweiten mixen und wir probierten: Unglaublich Komplex! Kirschwasser, angenehm auf Trinkstärke herabgesetzt aber deutlich zu schmecken. Das Likörwunder aus Dijon entfaltete einen wunderbaren Kirschgeschmack ohne auch nur einen Hauch von Süß zu sein. Der PX kam ganz zum Schluss, wenn auch noch ein wenig zart, fast pflaumig, sorgte er für einen langen Abgang.
Wir änderten beim nächsten „Langnickel“ zwei Dinge und sind Beide der Meinung, damit ein perfektes Rezept gefunden zu haben. Die Zitronenzeste wurde nur noch über dem Drink abgespritzt und nicht mehr hinein gegeben. Statt dessen gab es 3 echte in Kirschbrand und Maraschino eingelegte Maraska Kirschen die perfekt zum Drink passten.
Zum anderen reduzierten wir den Kirschbrand um 1 cl um es kam zu einer perfekten Harmonie der drei Zutaten.
„Professor Langnickel“
von Mario Kappes, Le Lion - Bar de Paris
3 cl Morand Kirsch Vieux
2 cl Guignolet de Dijon von Gabriel Boudier
2 cl Pedro Ximénez Monteagudo Sherry
Rühren, in die vorgekühlte Cocktail Schale strainen. Zitronenzeste über dem Drink zerdrücken. 3 Original in Kirschbrandy eingelegte Maraska Kirschen als Garnitur
Anzumerken sein, das dieser Drink, ähnliche wie ein Dr. Sack, aller Wahrscheinlichkeit nur mit diesen Zutaten funktionieren wird. Ein anderer Kirschbrand, ein anderer Kirschlikör und ganz sicher ein herkömmlicher Sherry werden diesen Drink nicht gerecht.
Santé!